Afghanistan gehört geographisch weder zu Vorder- noch zu Zentralasien und ist auch nicht Teil des indischen Subkontinents. Vielmehr befindet sich das Land an einer geostrategischen Scharnierstelle und empfängt aus den drei Kulturräumen Iran, Indien und Zentralasien kulturelle, wirtschaftliche und politische Impulse.
Die afghanische Bevölkerung ist sehr heterogen, wobei genauere Zahlenangaben zum Anteil der jeweiligen Volksgruppen an der Gesamtbevölkerung aufgrund eines fehlenden Zensus als nicht gesichert gelten. Schätzungen zufolge leben heute ca. 30 Millionen Menschen im Land.
Bis auf die
Afghanistan befindet sich seit der Interner Link: Intervention der USA und ihrer Verbündeten 2001 im Umbruch. Einerseits brachte das internationale Engagement dem Land viel Aufmerksamkeit und finanzielle Zuwendungen in Gestalt ziviler Wiederaufbauhilfe. Gleichzeitig erwies sich das von der internationalen Gemeinschaft unter Führung der USA geförderte State Building (Staatsbildung, Staatsaufbau) als ein steiniger, mit vielen Hindernissen gepflasterter Weg. Neben dem
Geschichte – Vom Großreich zum Nationalstaat
Seit jeher war das Territorium des heutigen Afghanistans ein Durchgangsland für Nomaden und Eroberer, die das Gebiet auf ihrem Weg nach Indien oder Persien passierten, um dort eigene Reiche zu gründen. Zwar diente die Region als Sprungbrett für zahlreiche Feldzüge, war jedoch selten über längere Zeiträume ein politisches Machtzentrum. Vielmehr galt die Region als Peripherie der großen Imperien. Eine Ausnahme bildete das Timuridenreich, das im 15. Jahrhundert zeitweise von Herat im heutigen Westafghanistan aus regiert wurde. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert trafen sich in der Hindukusch-Region die Einflusssphären der persischen Safawiden, der indischen Moguln und der Usbeken Transoxaniens.
Der heutige Staat Afghanistan ging in seinem Kern aus einem Großreich hervor, das auf die Eroberungen Ahmad Shah Durranis (Regentschaft 1747-1772) Mitte des 18. Jahrhunderts zurückging. Das ab 1747 von der Hauptstadt Kandahar aus beherrschte Imperium findet in einer späteren persischen Quelle als Reich von Iran, Turkistan und Hindustan (Indien) Erwähnung. Diese Bezeichnung spiegelt die geographische Lage an der Schnittstelle der drei großen Kulturlandschaften. Die Macht der Durrani-Dynastie basierte vor allem auf regelmäßigen Feldzügen in die fruchtbaren indischen Landesteile, später auch auf Steuereinnahmen aus diesen Gebieten sowie auf der Kontrolle wichtiger Handelsrouten in der Region. Wichtig für die Sicherung der Herrschaft war auch die Gefolgschaft der verschiedenen Stammesverbände der Durrani-Föderation. Deren Führer waren an der Herrschaft beteiligt, indem sie Truppen stellten und im Gegenzug finanzielle Überschüsse und Erntegüter aus den indischen Gebieten einstreichen konnten.
Bis 1820 musste das Durrani-Reich erhebliche Gebietsverluste hinnehmen. Besonders schmerzlich war der Verlust der fruchtbaren Indusebene, deren nördlicher Teil, der Punjab, schrittweise von den Sikhs erobert worden war, wodurch wichtige Steuereinnahmen aus diesen Gebieten verloren gingen. Ressourcenmangel und Thronstreitigkeiten führten schließlich zum Zerfall des Reiches in lokale Fürstentümer.
Mit der britischen Expansion in Indien geriet auch das Herrschaftsgebiet der rivalisierenden afghanischen Fürsten in den Fokus der
Die beiden anglo-afghanischen Kriege (1838-1842 und 1878-1880) waren dem Versuch geschuldet, die Pufferzone jenseits von Indus und Khyber-Pass unter britische Kontrolle zu bringen bzw. einen Herrscher zu installieren, der den Interessen Kalkuttas und Londons gewogen war. Dabei waren die britischen Interventionen teilweise direkte Antworten auf russische diplomatische oder militärische Aktionen in der Region nördlich des Amu Darya-Flusses. Die beiden Kriege verliefen nach ähnlichem Muster: die wichtigsten Städte und Schlüsselstellungen wurden relativ zügig von den britisch-indischen Truppen erobert, allerdings regte sich alsbald Widerstand der
Afghanistan im 20. Jahrhundert
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von der Erlangung der außenpolitischen Souveränität, Reformversuchen und anschließender politischer Stagnation. Die ersten Reformen im gesellschaftspolitischen Bereich (Ausbau des Schulwesens und Frauenrechte) wurden von Amanullah Khan (Regierungszeit 1919-1929) nach dem dritten anglo-afghanischen Krieg (1919) und dem gleichzeitigen Ende des britischen Protektorats angestoßen. Sie scheiterten jedoch an mangelnden finanziellen Mitteln sowie dem Widerstand konservativer Stammesführer und religiöser Kräfte. Die nach einer Europareise Amanullahs in Angriff genommene Steigerung des Reformtempos und noch weiter reichende Pläne in Bezug auf Frauen (z.B. Einschränkung der Polygamie und Anhebung des Heiratsalters) führten schließlich zu einer Rebellion im Osten des Landes und zum Sturz des Herrschers.
Nach einem kurzen Bürgerkrieg kam 1930 mit der Musahiban-Dynastie eine Seitenlinie des Königshauses an die Macht. Diese bemühte sich um die Restaurierung der alten Machtverhältnisse und machten die Reformen rückgängig. Die Regierung arrangierte sich mit den ländlichen Eliten (Stammesführern, religiösen Würdenträgern und Großgrundbesitzern), indem sie deren Macht und Besitzstand nicht mehr angriff. Sie überließ die ländlichen Regionen sich selbst und mischte sich auch nicht in die Angelegenheiten der Stämme im Osten und Süden ein. Damit nahm die Regierung in Kauf, hier kaum Gestaltungsspielraum zu haben. Im Gegenzug erkannten die dörflichen Anführer die Musahiban-Herrschaft an. Die folgenden Jahrzehnte waren von einem konservativen Kurs in der Innenpolitik und einer Schaukelpolitik nach außen hin geprägt, die darauf setzte, den Einfluss der beiden Supermächte Sowjetunion und USA auszubalancieren. Hinzu kamen Konflikte mit dem Nachbarn Pakistan um die mehr als 2000 Kilometer lange Grenze, die von der afghanischen Regierung nicht anerkannt wurde. Stattdessen wurde es in Kabul üblich, die gemeinsame Grenze weiterhin als Durand-Line zu bezeichnen.
Grenzstreitigkeiten
Die afghanischen Regierungen unterstützten in den 1950er und frühen 1960er Jahren die Paschtunistan-Bewegung, die auf eine Revision des politischen Status der überwiegend von Paschtunen (in Pakistan Pathan genannt) besiedelten Gebiete West- und Nordwestpakistans drängte. Dies brachte Kabul wiederholt in Konflikte mit Islamabad, was zeitweise zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen führte und Grenzschließungen zufolge hatte. Die Frage der strittigen Grenze belastet das Verhältnis beider Länder bis heute und gilt als ein Motiv für die wiederholten pakistanischen Einmischungen in Afghanistan.*
*Siehe Giunchi, Elisa (2013): The Origins of the Dispute over the Durand Line. Internationales Asienforum 44/1-2 (2013), S. 25-46.
Ab 1963 setzte eine Phase innerer Liberalisierung und Demokratisierung ein, dennoch waren die 1960er Jahre auch von inneren Widersprüchen geprägt. Einerseits erlaubte die konstitutionelle Verfassung von 1964 die politische Teilhabe und Öffnung des Landes, andererseits griff der von 1933 bis 1973 amtierende König Muhammad Zahir Shah stärker denn je in die Politik ein. Dabei versäumte er es, ein Parteiengesetz zu unterzeichnen, das die Bildung politischer Parteien legalisiert hätte. Die politischen Parteien und Bewegungen, die sich damals im Umfeld der Kabuler Universität bildeten, agierten daher vielfach im Untergrund bzw. einer rechtlichen Grauzone. Mit einem unblutigen Militärputsch 1973 endete diese Phase der jüngeren afghanischen Geschichte. Zahir Shah ging ins italienische Exil und überließ das Feld seinem Vetter Muhammad Daud Khan, der die Republik ausrief und autoritär regierte. Im April 1978 kam er bei einem Militärputsch ums Leben, der die kommunistische Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA) an die Macht brachte.
Der Krieg und seine Folgen
Der nun einsetzende bewaffnete Konflikt kann in vier Phasen eingeteilt werden. Die erste Phase (1978/79) stellt sich als Modernisierungskonflikt dar. Die DVPA legte mittels Reformen (z.B. Land- und Bildungsreform) Hand an den jahrzehntelangen ungeschriebenen Pakt zwischen den dörflichen Eliten und dem afghanischen Staat. Ein gegen die DVPA und deren Reformen gerichteter Volksaufstand weitete sich 1979 zu einem Bürgerkrieg aus, in den die Sowjetunion (UdSSR) Ende Dezember 1979 mit der Entsendung von Truppen eingriff. Damit trat der Konflikt in eine zweite Phase ein, die von einer Internationalisierung des Kriegsgeschehens geprägt war. Während die sowjetischen Truppen mehr als neun Jahre zum Schutz der DVPA-Regierung stationiert blieben, wurde der Widerstand der Mujaheddin von den USA, Pakistan, Saudi-Arabien und anderen Staaten finanziell und militärisch unterstützt. Für Afghanistan erwies sich der Krieg in mehrfacher Hinsicht als Katastrophe: Neben den vielen Todesopfern (Schätzungen sprechen von bis zu einer Million Toten auf afghanischer Seite) musste das Land die großflächige Zerstörung seiner physischen und staatlichen Infrastruktur verkraften; mehr als sechs Millionen Menschen flohen nach Pakistan und Iran, hinzu kamen mehr als 2,5 Millionen Binnenvertriebene. Mit diesem Flüchtlingsaufkommen war Afghanistan bis 2011/12 jahrzehntelang das Hauptherkunftsland im globalen Fluchtgeschehen. Der Krieg war auch ein Katalysator für gesellschaftliche Umwälzungen: Die alten Machthaber (z.B. Großgrundbesitzer und Aristokratenfamilien) auf dem Land verloren ihre Position an Kommandanten und bewaffnete Kräfte mit Verbindungen zu den großen Mujaheddin-Parteien. Auch die Macht der Stammesältesten erodierte zunehmend.
Glaubenskämpfer
Das Wort Mujahed (andere Schreibweise Mujahid; Plural Mujaheddin) geht auf das arabische Verb jahada (kämpfen, sich bemühen) zurück. Die substantivierte Form Jihad bedeutet damit so viel wie Anstrengung, Kampf, Krieg bzw. auch heiliger Krieg. Im technisch-religiösen Sinn bezeichnet Mujahed also einen Glaubenskämpfer im Krieg gegen Ungläubige. Während der sowjetischen Besatzungszeit in den 1980er Jahren bezeichneten sich die afghanischen Widerstandskämpfer als Mujaheddin.*
*Bosworth, C.E. : Mud̲j̲āhid. Encyclopaedia of Islam, 2. Auflage.Externer Link: https://referenceworks.brillonline.com/ (Zugriff: 20.9.2018).
Nach dem
Mit der Intervention der USA und der NATO auf Seiten der Nordallianz nach dem
Die Taliban und einige andere Gruppen waren nicht an dem Bonner Abkommen beteiligt und kämpften nunmehr gegen die in ihren Augen als Besatzer agierenden NATO-Truppen (im Rahmen des UN-Mandats International Security Assistance Force, ISAF) und die afghanische Regierungsarmee. Auch die zwei großen Loya Jirgas (große Ratsversammlungen von Stammesältesten, Lokalfürsten und anderen Vertretern) 2002 und 2003 sowie drei Präsidentschaftswahlen (2004, 2009 und 2014) und zwei Parlamentswahlen (2005 und 2010) haben Afghanistan keinen dauerhaften Frieden gebracht. Bei den Wahlen ließ sich das sogenannte ethnic voting beobachten, also die Vergabe von Wählerstimmen nach ethnischer Zugehörigkeit von Wählerschaften an Kandidaten der eigenen Volksgruppe. Während der Alltag in Kabul und anderen Großstädten von Anschlägen geprägt ist, eskaliert der Krieg seit 2005/06 besonders in den Provinzen. Auch eine von den USA ab 2009 vorgenommene Truppenaufstockung im Rahmen der sogenannten Operation Surge (bis 2012) und verstärkte Wiederaufbauhilfe in den ländlichen Gebieten haben daran wenig geändert. Das extern gesponserte State Building schien von Anfang an unter keinem guten Stern zu stehen. Die afghanische Gesellschaft ist durch jahrzehntelangen Krieg und externe Einflussnahme zutiefst gespalten. Nach wie vor dominieren die Strukturen einer
Die seit den umstrittenen
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